Die Miranda-Warnung: TV-Mythos oder Realität?

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Die folgende Szene kennt vermutlich jeder, der schon einmal amerikanische Fernsehserien angeschaut hat. Während einer Verhaftung leiert der verantwortliche Polizist gelangweilt einen auswendig gelernten Spruch herunter, der die Rechte des Verdächtigen beschreibt:

"Sie haben das Recht, zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, mit einem Rechtsanwalt zu sprechen und einen Rechtsanwalt zu jeder Befragung hinzu zu ziehen. Wenn Sie sich keinen Rechtsanwalt leisten können, wird Ihnen ein Rechtsanwalt auf Staatskosten gestellt. Haben Sie das verstanden?"

Dieser Spruch geht auf den Fall Miranda gegen den Staat Arizona aus dem Jahr 1966 zurück. Der Kläger hieß Ernesto Miranda.

Der Fall Miranda

Im Jahr 1963 wurde in den USA der mexikanische Einwanderer Ernesto Miranda (1941-1976) verhaftet. Man legte ihm Raub sowie die Vergewaltigung und Entführung einer jungen Frau zur Last. Nach zweistündigem Verhör legte der eingeschüchterte Mann ein umfassendes Geständnis ab. Ein Gericht in Phoenix / Arizona verurteilte ihn daraufhin zu 20 Jahren Freiheitsstrafe. Doch Mirandas Strafverteidiger klagte gegen das Urteil am US Supreme Court. Seine Argumentation: Die amerikanische Verfassung sichert jedem Beschuldigten das Recht auf Aussageverweigerung sowie anwaltlichen Beistand während des Verhörs zu. Miranda wusste das nicht und konnte daher von seinen verfassungsmäßigen Rechten keinen Gebrauch machen. Faktisch waren diese also für ihn nicht vorhanden. Das höchste Gericht der USA stimmte dieser Argumentation zu, hob das Urteil auf und verwies den Fall an die erste Instanz zurück. Seitdem wird bei vielen Verhaftungen in den Vereinigten Staaten die oben genannte Belehrung mehr oder weniger gleichlautend verwendet und ging als sogenannte Miranda-Warnung in die Rechtsgeschichte ein.

Die Folgen für Ernesto Miranda

Die Staatsanwaltschaft hatte nun ein Problem, denn für die erneute Anklage durfte Mirandas Geständnis natürlich nicht mehr verwendet werden. Doch der Mexikaner hatte dummerweise einer Ex-Freundin gegenüber seine Tat zugegeben. Deshalb wurde er anhand von Zeugenaussagen und Beweismitteln zu elf Jahren Haft verurteilt. 1972 kam Miranda auf Bewährung frei. Vier Jahre später erstach man ihn im Streit in einer Bar. Dem mutmaßlichen Täter wurde bei der Verhaftung natürlich die inzwischen obligatorische Miranda-Warnung vorgelesen. Er entschied sich, keine Aussage zu machen. Ohne ein Geständnis war ihm die Tat jedoch nicht nachzuweisen, so dass für den Tod von Ernesto Miranda bis heute niemand zur Rechenschaft gezogen werden konnte.

Die Auswirkungen der Miranda-Warnung in Deutschland

Das Miranda-Urteil gehört zu den bekanntesten Gerichtsentscheidungen der USA. In Deutschland wurde der daraus resultierende Polizistenspruch vor allem durch die Unzahl amerikanischer Fernsehserien populär, in denen dieses showträchtige Element natürlich unbedingt enthalten sein muss. Nicht selten glauben deutsche Fernsehkonsumenten daher, auch in Deutschland wäre die Anwendung der Miranda-Warnung eine vorgeschriebene Verhaltensweise bei Verhaftungen. Die Realität sieht jedoch anders aus. Natürlich wird auch in der BRD ein Verdächtiger über seine Rechte und den erhobenen Tatvorwurf aufgeklärt. Dies geschieht jedoch selten während der Festnahme. Die Belehrung ist lediglich zwingend vor der ersten Vernehmung durchzuführen. Deutsche Polizisten müssen dazu auch nicht den Standardspruch der Miranda-Warnung verwenden, sondern dürfen weitgehend frei formulieren.

Selbst amerikanische Gesetzeshüter werden in dieser Hinsicht nicht so streng reglementiert, wie es die schöne, effektvolle TV-Welt vermittelt. Sie müssen die Miranda-Warnung nur dann direkt bei der Verhaftung anwenden, wenn ein Verhör vorgesehen ist. Eine weitere Ausnahme besteht bei Gefahr in Verzug. Sollten also beispielsweise bewaffnete Kumpane des Täters versuchen, eine soeben ablaufende Verhaftung zu verhindern, darf sich der Polizist zunächst ganz auf den handgreiflichen Aspekt der Sache konzentrieren. Vermutlich kein Gericht der Welt würde ihn dann zwingen, gleichzeitig die Miranda-Warnung zu deklarieren...

Bitte beachten Sie, dass dieser Artikel generell fachlichen Rat, zum Beispiel durch einen Rechtsanwalt, nicht ersetzen kann.

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